Kapitel 4

In jener Nacht wachte ich schreiend auf, wie jede Nacht, aber dieses Mal war ich allein. Meine Augen rissen auf und ich durchsuchte mein Zimmer nach etwas, irgendetwas, das mir helfen könnte, mich zu verankern und zurückzukommen.

Nachdem ich mit der Polizei gesprochen hatte, empfahl Nathaniel, dass ich mit einem Trauertherapeuten sprechen sollte. Ich sagte ihm, dass ich es nicht brauchte, aber als die Albträume begannen und es immer schwieriger wurde, zu erkennen, was real und was ein Traum war, stimmte ich zu. Er kontaktierte eine Freundin, die bereit war, mit mir per Text und Telefon zu sprechen, damit ich jemanden hätte, mit dem ich reden könnte, wenn ich weiterhin Momente der Verwirrung hätte.

Sie war eine freundliche Dame und sagte mir, ich solle das in meinem Leben finden, was mich in die Realität zurückbringt. Etwas, das ich sehen kann und weiß, dass alles um mich herum echt ist. Ich hatte noch nichts gefunden, das ein guter Anker sein könnte, also suchte ich nach irgendetwas um mich herum, von dem ich wusste, dass es mir gehörte. Manchmal war es meine Staffelei oder mein Lieblingsbuch, was auch immer ich im Dunkeln von meinem Bett aus sehen konnte. Heute Nacht sah ich das einzige Buch, das ich von zu Hause mitgebracht hatte.

Ich konnte nichts aus unserem alten Haus mitnehmen, da es technisch gesehen noch ein Tatort war, aber sie ließen mich meine Handtasche mitnehmen, und ich trug immer ein Buch darin.

Damals las ich gerade „Alice im Wunderland“, eine spezielle Hardcover-Ausgabe, die mir meine Mutter zur Abschlussfeier geschenkt hatte. Sie wusste, wie sehr ich klassische Romane liebte, und fand eine Sonderausgabe, die ich seitdem jeden Tag mit mir trug. Manchmal fühlte ich mich, als wäre ich in ein Kaninchenloch gefallen und alles, was passiert war, gehörte zu einer Welt außerhalb der realen Welt. Ich wusste, dass ich weitermachen musste, aber weitermachen ist immer leichter gesagt als getan. Besonders, wenn man niemanden sonst hat.

Ich war schon immer schüchtern und hielt mich lieber zurück, was bedeutete, dass ich in der Schule nicht viele Freunde fand. Die wenigen Freunde, die ich fand, waren eher Klassenkameraden, aber wir hingen nie zusammen ab oder sprachen außerhalb der Schule.

Ich hasse Lügen, und wie sollte ich ihnen die seltsamen Dinge erklären, die in meiner Familie vor sich gingen? Wir sind Werwölfe und es war kein Geheimnis, das wir mit Menschen teilen sollten.

Es war einfach einfacher, niemandem zu nahe zu kommen, damit ich nicht lügen musste. Als mein Herzschlag langsamer wurde, atmete ich tief durch und ließ mich wieder auf mein Kissen sinken. Ich schaute zur Decke und versuchte erneut, meine Wölfin zu erreichen. Ich war besorgt, sie hatte sich noch nie so versteckt. Warum hatte sie mich abgeschnitten? Ich hatte mich auch schon eine Weile nicht mehr verwandelt, und ich fühlte mich schwächer deswegen. Ich muss sie befreien, aber ich wusste nicht wie. Es ist nichts, wonach ich jemals gefragt hatte, weil ich nie daran gedacht hatte.

„Bitte. Bitte Leah, sprich mit mir.“ flüsterte ich zu mir selbst. „Was passiert?“

Ich wartete auf ihre Antwort, aber ich hörte nichts. Ich flehte sie erneut an, und nach einigen Momenten hörte ich ein leises Flüstern.

„Es ist nicht sicher, Maya. Ich muss mich versteckt halten“, antwortete sie.

„Leah? Warum? Warum musst du dich versteckt halten?“ fragte ich sie verzweifelt.

„Wenn ich mich zeige, wird er dich schneller finden“, sagte sie, ihre Stimme wurde immer leiser, bis ich sie nicht mehr hören konnte.

Ich rief sie noch mehrere Male, aber sie sagte kein weiteres Wort.

Was meinte sie damit? Wenn sie sich versteckt hielt, bedeutete das, dass andere Wölfe nicht spüren konnten, was ich bin? Das war das Einzige, was für mich Sinn ergab, aber hier waren keine anderen Wölfe. Es ist ein College für Menschen, und die meisten Mitglieder eines Rudels würden sich nie in die Nähe eines solchen Ortes wagen. Ich war so verwirrt, aber sie schien uns schützen zu wollen, und ich musste ihr vertrauen.

Ihre Stimme zu hören hatte mich beruhigt, und ich fühlte, wie meine Augen wieder schwer wurden, bis ich erneut einschlief.

Ich träumte von einem Wolf, einem grauen Wolf mit einem blauen und einem braunen Auge. Der Wolf kam auf mich zu und sprach.

„Vertraue niemandem, bis ich dich finde“, sagte er durch eine Gedankenverbindung.

Der gleiche Wolf erschien immer wieder, bis ich von meinem Wecker geweckt wurde. Obwohl der Traum kein Albtraum gewesen war, ließ er mich unruhig zurück. Ich wusste, dass dieser Wolf nicht meiner war, aber wer war er? War es eine echte Person, die mich warnen wollte? War das überhaupt möglich? Mein Kopf war voller Fragen, auf die ich bezweifelte, jemals Antworten zu bekommen. Also stand ich auf und beschloss, stattdessen laufen zu gehen. Die Kurse würden erst nächste Woche beginnen, aber ich wollte mich daran gewöhnen, früh aufzustehen, also entschied ich mich, frühmorgens zu laufen und eine Art Routine zu entwickeln.

Ich zog meine schwarzen Trainingsleggings, ein schwarzes Tanktop und einen Sport-BH an und meine weißen und pinken Laufschuhe. Ich band mein dunkelbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz und machte mich auf den Weg zum Campus. Ich entschied mich, über den Campus zu laufen, um mich mit der Umgebung und den möglichen Abkürzungen vertraut zu machen. Überraschenderweise waren auch mehrere andere Studenten früh aufgestanden und nutzten diese Zeit zum Trainieren. Ich beobachtete ein paar Mädchen, die in nur Sport-BHs und kurzen Shorts schnell vorbeigingen; ich nahm an, dass sie nicht wirklich hier waren, um zu trainieren. Die Jungs, die vorbeiliefen, schienen die Aussicht jedoch zu schätzen.

Ich schnaubte vor mich hin und rannte an ihnen vorbei, ohne mich darum zu kümmern, ob die gleichen Jungs auch mich ansahen. Versteht mich nicht falsch, ich wollte, dass ein Typ mich mochte. Aber ich wusste, dass es schwierig sein würde, mit einem Menschen auszugehen, weil einige von ihnen uns für böse Kreaturen hielten, während andere uns als unmoralisch und offen wie Bestien betrachteten.

Doch ich war nicht in der Stimmung, eine Beziehung mit jemandem einzugehen. Die Gefahr lauerte und ich fühlte mich wie die Beute.